27.04.2020 Fachbeitrag
(Redaktionelle Leitsätze)
1. Der
Bieter kann eine verdeckte Produktvorgabe nachweisen, indem er infrage
kommende, jedoch nicht alle Anforderungen des Leistungsverzeichnisses (LV)
erfüllende Geräte nennt. Eine EU-weite Marktanalyse ist nicht not-wendig.
2. Einen
derart substantiierten Vortrag kann der Auftraggeber nur durch Nennung eines
weiteren LV-konformen Alternativprodukts erschüttern.
3. Alternativprodukte
müssen zum Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung auf dem Markt oder zumindest
mit Ausstattung und Preis angekündigt sein.
4. Offengelassen:
Ist die verdeckte Produktvorgabe überhaupt rechtfertigbar?
5. Eine Rechtsverletzung des Bieters ist auch gegeben, falls er das vorgegebene Produkt zwar am Markt einkaufen kann, aber Mitbietern möglicherweise günstigere Einkaufskonditionen eingeräumt werden.
Worum
geht es in der Entscheidung?
Es geht um die in der
Praxis häufige verdeckte Produktvorgabe: Der Auftraggeber übernimmt das
Datenblatt seines Wunschproduktes in das LV. Somit erfolgt zwar keine
ausdrückliche, aber eine verdeckte Produktvorgabe, falls allein das
Wunschprodukt die Vielzahl aller Anforderungen des LVs erfüllt.
Im vorliegenden Fall
schreibt der Auftraggeber Medientafeln für den Schulunterricht aus. Sein LV
entwickelt er aus dem Datenblatt einer Medientafel, die von der Schule bereits
erprobt wurde. Der Bieter erhebt den Vorwurf einer verdeckten Produktvorgabe
und substantiiert diesen mittels einer Liste von 16 (später 41) Geräten, die
zwar grundsätzlich als LV-konform infrage kommen, die aber sämtlich irgendeine
der vielen Anforderungen des LVs nicht erfüllen. Das verdeckt vorgegebene
Produkt kann er zwar beschaffen, jedoch zu schlechteren Konditionen als
Mitbieter.
Der Auftraggeber zieht sich auf die Position zurück, die vorgelegte Liste
bilde nicht den gesamten europäischen Markt ab. Er nennt außerdem ein
Alternativgerät, welches zum Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung nicht auf dem
Markt war.
Was
hat das Gericht entschieden?
Die Beschwerde hat
Erfolg: Der Auftraggeber muss die Medientafeln erneut ausschreiben.
Nachdem der Bieter die
Geräte-Liste vorlegt hat, hätte der Auftraggeber ein LV-konformes
Alternativprodukt nennen müssen, um den Vorwurf der Produktvorgabe zu
entkräften.
Dies gelingt ihm nicht,
weil er ein Alternativgerät nennt, das im relevanten Zeitpunkt der
Auftragsbekanntmachung noch nicht auf dem Markt erhältlich war. Notwendig ist
mindestens eine konkrete Ankündigung mit Ausstattung und Preis, sodass die
Bieter es zum Gegenstand eines Angebots hätten machen können.
Der Versuch des Auftraggebers, die Produktvorgabe mit auftragsbezogenen Gründen zu rechtfertigen, scheitert ebenfalls. Seine Vergabedokumentation kann nicht die Vielzahl der Anforderungen begründen, die letztlich zur Verengung auf ein einziges Produkt führen. Damit kann das OLG offenlassen, ob eine verdeckte Produktvorgabe überhaupt rechtfertigbar ist. Der Bieter ist in seinen Rechten verletzt, obwohl er das Wunschgerät erwerben konnte. Es bestand nämlich die Möglichkeit, dass er dabei schlechtere Konditionen vom Hersteller gewährt bekam als seine Mitbieter.
Praxishinweise für Bieter und Auftraggeber:
Für Bieter: Macht ein LV
den Eindruck, als sei es durch „Kopieren und Einfügen“ des Datenblattes eines
Wunschproduktes entstanden, sollte geprüft und festgehalten werden, ob kein
anderes bekanntes Produkt das LV erfüllt.
Für Auftraggeber: Das Abschreiben eines Datenblattes zur LV-Erstellung ist
zwar erlaubt. Besteht jedoch die Gefahr einer Verengung auf ein einziges
Produkt, so dürfte der bessere Weg in einer – gut begründeten, dokumentierten
und dann auch erlaubten – transparenten Produktvorgabe oder einer Kombination
aus Mindest- und Qualitätskriterien liegen.