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Netzausbau – Kampf um die Stromtrassen

Wie Grundeigentümer die neuen Trassen treffen und was sie tun können — Gespräch mit den Anwälten Arnd Bühner und Sebastian Siemer - 22.02.2014, Nürnberger Nachrichten

Noch steht der genaue Verlauf der umstrittenen Süd-Ost-Stromautobahn von Bad Lauchstadt (Sachsen-Anhalt) ins schwäbische Meitingen nicht fest – klar ist allerdings, dass die hiesige Region betroffen ist, wenn die Trasse kommt. Mancher Grundeigentümer und Landpächter fragt sich bereits: Was bedeutet das, wenn die Leitungen über meinen Grund und Boden führen? Darüber sprachen wir mit den auf öffentliches Wirtschaftsrecht spezialisierten Nürnberger Anwälten Arnd Bühner und Sebastian Siemer.

NN: Die für viele zentrale Frage gleich vorweg: Kann ich untersagen, dass eine Stromautobahn über mein Grundstück führt?

Arnd Bühner: Die typische Juristenantwort darauf lautet: Das kommt darauf an. Der Trassenbau ist ein privilegiertes Vorhaben, das im Zweifelsfall sogar über Enteignungen realisiert werden kann: Das hat der Gesetzgeber so festgelegt. Im Regelfall muss der Eingriff damit toleriert werden.

NN: „Im Regelfall“ heißt, es gibt Ausnahmen?

Bühner: Ja. Wenn beispielsweise ein Gewerbebetrieb durch den Bau eines Strommasten auf seinem Areal seine Existenzgrundlage verlieren würde, muss er sich im Genehmigungsverfahren des Projekts – dem sogenannten Planfeststellungsverfahren – mit Einwendungen dagegen wehren. Diesen Weg sollte die Firma auch gehen, wenn sie durch die Baumaßnahme ihre Erweiterungsmöglichkeiten beschnitten sieht. Grundsätzlich müssen schwere und unerträgliche Eingriffe ins Eigentumsrecht vermieden werden. Daran sind sowohl der Vorhabenträger Amprion als auch die Bundesnetzagentur als Genehmigungsbehörde gebunden.

NN: Und wenn der Eingriff notwendig ist?

Bühner: Dann muss der Vorhabenträger den betroffenen Eigentümer entschädigen – in unserem Beispiel müssten etwa die Umsiedelung des Betriebs, der Wert des verlorenen Grundstücks und mögliche Anlaufverluste nach dem Neustart des Unternehmens finanziert werden.

NN: Das könnte für Amprion ganz schön teuer werden.

Sebastian Siemer: Amprion will nach eigenen Angaben vermeiden, dass bebaute Grundstücke mit Leitungen überspannt werden...

Bühner: ...aber es wird solche Eingriffe ins Eigentum geben!

NN: Wenn nun ein Strommast auf einem Grundstück errichtet werden soll, das land- oder forstwirtschaftlich genutzt wird: Was bedeutet das für Eigentümer oder Pächter?

Bühner: Auch ihm steht eine Entschädigung zu. Denn das Areal kann nicht mehr im selben Umfang genutzt werden wie zuvor – oder es entstehen durch die nun schwierigere Bewirtschaftung des Restgrundstücks entschädigungspflichtige Mehrkosten. Ich würde empfehlen, Amprion den durch den Mastenbau betroffenen Grundstücksanteil zum Kauf anzubieten.

NN: Und wenn Amprion nicht kaufen will, sondern lediglich eine im Grundbuch eingetragene Dienstbarkeit gesichert sehen möchte – also das Recht, den benötigten Teil des Areals nutzen zu können?

Siemer: Wenn die Bewirtschaftung des Grundstücks durch die Belastung mit einer Dienstbarkeit für den Eigentümer unzumutbar wird, kann daraus folgen, dass Amprion das gesamte Areal erwerben muss.

NN: Das klingt nach langwierigen Auseinandersetzungen. Wann muss ein Eigentümer oder Pächter aktiv werden?

Bühner: Er muss sich schon im Planfeststellungsverfahren (PFV), das Amprion zufolge frühestens 2017 beginnt, wehren und Einwendungen erheben. Voraussetzung für den Bau der Stromtrasse ist ein Planfeststellungsbeschluss, der am Ende dieses Verfahrens steht. Gegen den Beschluss kann geklagt werden, aber nur auf Basis der im PFV erhobenen Einwendungen.

NN: Was genau steht in dem Beschluss?

Bühner: Darin ist der Verlauf der Leitungen mit Nennung konkreter Flurstücknummern verbindlich festgelegt. Der Beschluss ersetzt eine Baugenehmigung und macht es möglich, Grundstücke auch zwangsweise in Anspruch zu nehmen – bis hin zur Enteignung. Allerdings muss der zuständige Übertragungsnetzbetreiber Amprion zunächst versuchen, die benötigten Flächen freihändig zu erwerben und dazu den Eigentümern ein angemessenes Angebot unterbreiten. Deshalb ist es wichtig, dass der Eigentümer rechtzeitig feststellt, was sein Grundstück vor dem Eingriff wert ist und was danach.

NN: Wie viel Zeit sollte man für die Bewertung des Grundstücks einplanen?

Bühner: Ein Gutachter braucht in der Regel drei bis vier Wochen. In Spezialfällen kann es auch länger dauern.

NN: Und wie lange dauert das Planfeststellungsverfahren Ihrer Einschätzung nach?

Siemer: Wir schätzen: Je nach Qualität der eingereichten Unterlagen zwei bis drei Jahre. Amprion ist optimistisch, dass die Trasse 2022 steht.

Bühner: Die Länge des Planfeststellungsverfahrens hängt letztlich auch davon ab, wie viele Einwendungen es gibt. Hochspannend ist, dass der Gesetzgeber Regelungen zum Bau der Stromtrassen zu einem Zeitpunkt getroffen hat, an dem noch gar nicht klar war, wie sich die Lage auf dem Strommarkt mit dem schrittweisen Abschalten der Atomkraftwerke entwickelt – und ob die Eingriffe, für die bereits die Weichen gestellt wurden, für eine sichere Stromversorgung hierzulande so überhaupt nötig sind.

NN: Ministerpräsident Horst Seehofer hegt daran ja inzwischen Zweifel – insbesondere, weil die geplante SüdOst-Gleichstrompassage in den davon betroffenen Gebieten Frankens und der Oberpfalz auf heftige Proteste in der Bevölkerung stößt...

Bühner: Wenn jemand eine Superidee hat, wie der Trassenbau vermieden werden kann: Jetzt ist der Zeitpunkt, sie auf den Tisch zu legen.

NN: Apropos auf den Tisch legen: Mit wie viel Geld kann ein Grundstückseigner oder Nutzer denn rechnen, wenn er von der Stromautobahn tangiert ist?

Siemer: Die Entschädigung bei Überspannung eines land- oder forstwirtschaftlich genutzten Grundstücks mit einer Freileitung liegt erfahrungsgemäß bei etwa 15 bis 20 Prozent des Verkehrswerts der von der Überspannung betroffenen Fläche. Es gab allerdings auch Entscheidungen, die weniger veranschlagt haben. Für die vom Fundamentbau betroffene Fläche tendiert der Prozentsatz höher, unseres Erachtens nach bis zu 100 Prozent.

Bühner: Generell stellt sich die Frage: Worin liegt die Beeinträchtigung, wenn Kabel in 70 Meter Höhe über einem Acker verlaufen?

NN: Haben Sie schon Klienten in Sachen Stromtrasse?

Bühner: Ja. Übrigens: Die Anwaltskosten, die Betroffenen zur Wahrnehmung ihrer Rechte im Enteignungsverfahren entstehen, können sie sich ebenfalls vom Übertragungsnetzbetreiber erstatten lassen.

Interview: VERENA LITZ, Nürnberger Nachrichten